Impuls

Stoffpost  –  hört nicht auf zu schreiben!

 

Als meine Tochter 18 Jahre alt wurde, ihr Abitur in der Tasche hatte und auch schon den Führerschein, wollte sie auf einmal ausziehen.

Ein Schock erst einmal für jede Mutter, wieso denn das und wieso so schnell?

Nach mehreren Plaudereien  mit meinen Freundinnen beruhigte ich mich und dachte nach.

Heraus kam: Wer hat immer das schönste, größte Zimmer in der Wohnung?  Immer das Kind!

Also stand im Sommer 2016 ein wunderschönes Altbauzimmer mit prächtigem Stuck und hohen Decken in der Leipziger Innenstadt leer…

Da fiel mir meine jahrelang vernachlässigte Nähmaschine ein. Also schlug ich meinem Mann vor, diese  erstmal  in den schönen, leeren Raum zu stellen und einmal abzuwarten, was passiert…

Er war natürlich nicht begeistert, als  Architekt liebt er die Ordnung und nicht das Gewusel von Stoffen, Zwirn und Nähnadeln… Außerdem hatte er Bedenken (berechtigt), dass sie so stehen bleiben würde… Wörtlich: “Das wird ja wohl jetzt hier keine Nähstube!“

Schon als Kind hörte ich am Abend das Rattern der Nähmaschine. Welch beruhigendes Geräusch, so friedlich; Meine Mutter nähte allabendlich Kleider, Filztopflappen und andere schöne Dinge, die damals sehr rar waren…

Auch schrieben wir damals viele Postkarten aus dem Urlaub, das Ritual habe ich mir bis heute bewahrt. Aus jedem Urlaub schreibe ich an Freunde und Familie.

So wollte ich nun auch meiner Tochter Antonia die erste Postkarte an ihre neue Adresse schicken.

Genau da  kam mein Mann mit seinem Wegwerfwahn ins Zimmer und fragte mich, ob er wohl nun endlich dieses zerschlissene  Geschirrhandtuch wegwerfen könne.

Ich sagte sofort:“ Bist Du verrückt, das haben wir doch  auf  Hiddensee gekauft!“

Ich sah das Motiv des Leuchtturmes und da kam mir die Idee!

Weshalb sollte ich nicht Postkarten aus Stoff nähen! Und nicht nur Stoff, sondern aus gebrauchtem Stoff!  Aus gebrauchten, alten Stoffen Postkarten herstellen, die man auch verschicken kann.

Gedacht – Getan.

Aber würde die Post auch diese Karten  mit 45 Cent frankiert zustellen? Ich versuchte es und schickte die erste Stoffpostkarte an mich selbst.

Und – sie kam an.

Was für ein Triumph!

Und nun war auch mein Mann von meiner Idee überzeugt und wir überlegten uns bei einer guten  Flasche Wein, welchen Namen das neue  Baby, meine Stoffpostkarten, denn nun haben solle.

Es hat großen Spaß gemacht, zusammen hin und her zu spinnen und dann kam uns, fast zeitgleich die Idee!

Stoffpost!

Diesen Abend werde ich wohl nie vergessen!

Eine Patentanmeldung in München folgte, und  mein Blogg wurde eingerichtet…

Seitdem werden meine Stoffpostkarten in diversen Galerien und Geschäften in verschiedenen Städten verkauft, mit großem Erfolg. Schöne Geschichten folgen: Ein junger Mann lässt Jeans Stoffpostkarten nähen, ein wunderschönes altes Kleid wird zu Stoffpostkarten.

Die Teilnahme bei den Designers Open in Leipzig folgte.  Auch die Fernsehsendung Außenseiter- Spitzenreiter produzierte schon einen Beitrag  über die stoffpost.

Heute ist meine Tochter stolz auf mich und freut sich, dass ihr Zimmer so kreative Energie bekommen hat und was kann es denn Schöneres geben  als den Abend nicht vor dem Fernseher zu beenden, sondern kreative, romantische und witzige Stoffpostkarten zu nähen…

 

Judith Herschel Hille